Wir GRÜNE stehen bekanntlich dem Projekt „Zweite Münchner S-Bahn-Röhre“ äußerst kritisch gegenüber, weil unseres Erachtens a) die Kosten in Milliardenhöhe in keinem vertretbaren Verhältnis zum Nutzen stehen, b) das Vorhaben durch seine Kosten, aber auch durch die Bindung von Planungskapazitäten wirklich wichtige Projekte des SPNV wie auch des allgemeinen ÖPNV in ganz Bayern kannibalisiert, c) es zwangsläufig mit Inbetriebnahme der „Zweiten Röhre“ für tagtäglich zigtausende von Fahrgästen zu massiven Verschlechterungen kommen würde [1) neue Umsteigezwänge, 2) Taktausdünnungen zu Stoßzeiten] und d) das Projekt, so wie geplant, gravierende Mängel bezüglich des Brandschutzes und sonstiger Sicherheitsaspekte aufweist.
Was die Zeitschiene und die Kostenentwicklung anbelangt, so steht das Projekt „Zweite Münchner S-Bahn-Röhre“ den Vorhaben Stuttgart 21 und Flughafen Berlin-Schönefeld in Nichts nach. Bis ins Jahr 2005 wurde verkündet, die „Zweite Röhre“ sei im Jahr 2010 fertiggestellt und könne in Betrieb genommen werden. Mittlerweile wird hier von offizieller Seite 2026 anvisiert, ein Termin, der aber gerade angesichts der aktuellen Entwicklungen (s.u.) auch nicht zu halten sein dürfte. Die Kosten des Projektes „Zweite Münchner S-Bahn-Röhre“ laufen massiv aus dem Ruder [Kostenangaben z.B.: 2001: 583 Millionen Euro, Vergleichende Untersuchung Ausbau S-Bahn-Südring/Zweiter S-Bahn-Tunnel. 2010: 1,77 Milliarden Euro (Preisstand 2009), Eckpunkte des Bau- und Finanzierungsvertrages zwischen dem Freistaat Bayern und der DB AG vom 23.12.2010. 2016: 3,84 Milliarden Euro, davon etwa 660 Millionen Euro „Risikozuschlag“, Veröffentlichung der Staatsregierung am 25. Oktober nach einer Sitzung des Ministerrates und einem „Bahngipfel“ am gleichen Tag.].
Hinzu kommt, dass das Projekt laufend gestutzt und für die Fahrgäste und Steuerzahler immer noch schlechter gemacht wird. Zuerst wurden mit dem Arnulfpark, dem Maxmonument und dem Max-Weber-Platz drei von sechs ursprünglich eingeplanten Haltepunkten (und damit auch Verknüpfungspunkten) gestrichen. Dann wurde der Südast (Abzweig ab der Isar in Richtung Giesing), der wirklich Sinn gemacht hätte, weil das Kopfmachen von zwei S-Bahn-Linien am Ostbahnhof (der Haltepunkt Ostbahnhof ist von den Bahnsteigkanten und Gleisen her einer der Engpässe im Münchner S-Bahn-Netz) weggefallen wäre, gekappt. Mitten im laufenden Planungs- und Genehmigungsverfahren verabschiedete man sich schließlich vom Vorhaben, den 10-Minuten-Takt (zumindest zu Stoßzeiten) auf den „Mittelästen“ fahren zu können, ursprünglich das eigentliche Planungsziel des Projektes „Zweite Stammstrecke“.
Jetzt wurde bekannt, dass der Bahnsteig der Station Hauptbahnhof gegenüber der bis dato planfestgestellten Variante um 80 Meter in Richtung Westen verschoben werden muss und damit der bisher vorgesehene Ausstieg Schützenstraße entfallen soll. Letzteres würde zu weiteren Verschlechterungen für werktäglich tausende von Fahrgästen führen. Grund für die neuerliche Umplanung dürfte die Tatsache sein, dass die Überdeckung zwischen dem geplanten S-Bahn-Bahnhofsbauwerk und der Tunnelsohle des vorhandenen U-Bahn-Bauwerks (U1/U2) zu gering ist. [Bei größer dimensionierten Tunnelbauwerken wie den Bahnhofs-Bauwerken kommt nicht die Bauweise über Schildvortrieb in Frage. Hier erfolgt der Aufbruch mit Baggern (bei festerem Gestein, d.h. wohl nicht in München, auch über Sprengungen) dann wird armiert und mit Beton ausgespritzt. Anschließend wird eine zweite Schale hergestellt, welche erst für die notwendige Standfestigkeit und Dichtigkeit sorgt. Um einen Grundwassereinbruch zu verhindern, im Tertiär herrscht hoher Wasserdruck, durfte früher mit Luftdruck gearbeitet werden. Da dies jetzt nicht mehr erlaubt ist, soll durch Vereisung des umliegenden Erdreichs mittels Kühlstäben der Wassereinbruch verhindert werden. Folge des Vereisens sind Ausdehnungen, somit kann es spätestens mit dem Wiederauftauen des Erdreiches zu Setzungen kommen, was bei eher geringer Überdeckung zu Schäden darüber liegender Bauwerke führen kann.]
Selbstverständlich gilt es jetzt, sowohl die Änderung der Planung als solche, als auch das einzuschlagende Planungs-/Genehmigungsverfahren zu prüfen und zu hinterfragen. M.E. ist eine dritte Tektur des PFA 1 fällig, das bedeutet: Planfeststellung nach § 18 Abs. 1 AEG, PFA 1, dritte Planänderung. Dies wieder mit Einwendungen und (hoffentlich) auch mündlicher Erörterung selbiger.
Die Jubelmeldungen von Ende März/Anfang April („Baurecht komplett“, „endgültig rechtsgültiges Baurecht für gesamte Strecke“) waren verfrüht. Es drohen weitere Zeitverzögerungen und Kostensteigerungen. Wenn es eine ehrliche Nutzen-Kosten-Untersuchung gäbe, dann wäre das Projekt „Zweite Röhre“ längst beerdigt worden!
Möglicherweise werden noch weitere Umplanungen erforderlich, welche wiederum nach neuen Genehmigungen verlangen. Als ein Beispiel hierfür sei die Station Ostbahnhof genannt, bei der die aktuellen Planungen auch nur eine Tieflage der neuen S-Bahn-Stammstrecke von etwa sechs Metern unter der Tunnelsohle des Bahnhof-Bauwerkes der U 5 vorsehen und bei deren Bau im Kreuzungsbereich das bestehende U-Bahnhof-Bauwerk von unten geöffnet werden soll.
Anhang 1:
zur Beachtung: die Kostenbenennung von Staatsregierung und DB AG von Oktober 2016 („sachgerechte Kostenermittlung“) basierte nach Angaben der Staatsregierung auf den Ergebnissen der Ausschreibung von Hauptbaumaßnahmen im westlichen Abschnitt der „Zweiten Münchner S-Bahn-Röhre“ (ausgeschrieben worden war nach Vorliegen der Planfeststellungsbeschlüsse für den PFA 1 laut Angaben der Staatsregierung auch die sogenannten Vergabeeinheit (VE) 30, Baulos Tunnel West mit Station Hauptbahnhof). Entweder stimmt die damalige Aussage der Staatsregierung („basiert auf Ergebnissen der Ausschreibung“) nicht, oder aber das, was jetzt an Verlautbarungen/Vermutungen herumwabert, ist falsch. Dritte Variante: die Bieter haben einen Rückzieher gemacht (!?).)
Die Hinweise verdichten sich, dass es im Ausschreibungs-/Vergabeverfahren massiv krumm läuft, dass z.B. die von uns bereits zu einem früheren Zeitpunkt thematisierten und abgefragten klandestinen Vereinbarungen zwischen ausgewählten Unternehmen der Bauwirtschaft und der DB AG zur Verfahrenslösung über „partnerschaftliche Abwicklung des Projektes als Pilotprojekt („Balance im Bau“)“ zum Tragen gekommen sind.
Anhang 2:
Auch zeichnet sich ab, dass jetzt anders als vorgesehen gebaut werden soll: Um die krachenden Planungsfehler a) zu heilen und b) zu kaschieren und um Zeitverluste infolge der notwendigen Umplanungs- und Genehmigungsverfahren zu verringern, sollen jetzt erst einmal zwei durchgängige Röhren komplett über die gesamte unterirdische Stammstrecken-Distanz im Schildvortrieb gebaut werden. Später sollen diese Röhren dann an den dann neu projektierten und ggf. genehmigten Stellen, wo die Bahnhofsbauwerke platziert werden sollen, aufgebrochen werden und anschließend die Bahnhofs-Bauwerke im Verfahren Aufbruch mit Baggern, Armierung, Ausspritzen und Bau der zweiten Schale hergestellt werden.